Seit ich denken kann, war ich immer eine super Schülerin, die nur gute Noten nach Hause gebracht hat. Schon an meinem ersten Schultag habe ich den Ehrgeiz gehabt, besser zu sein als meine Mitschüler und mir hat es einfach Spaß gemacht, im Unterricht mitzuarbeiten, neue Dinge zu lernen und gute Noten zu sammeln.
Dadurch war ich bei meinen Mitschülern nicht gerade beliebt und wurde als Streber abgestempelt. Bei den Lehrern war es genau anders rum. Die haben mich alle gemocht und sich gefreut, dass es auch Schüler gibt, die Interesse am Unterricht zeigen und nicht stören. Allerdings muss ich dazu sagen, dass mich meine Eltern auf eine Integrationsschule geschickt haben. Das heißt, dass in meiner Grundschule Behinderte, Schwierige und normale Kinder in eine Klasse gegangen sind. Dementsprechend waren nicht alle Schüler auf einem Level und es gab große Lernunterschiede bei meinen Mitschülern.
Die Störenfriede haben nie aufgepasst, die Lernbehinderten haben teilweise bis zur dritten Klasse keine Noten bekommen und die “normalen” Kids wie ich mussten sich halt irgendwie immer an die Lerngeschwindigkeit der anderen anpassen. Also war es für mich super einfach gute Noten zu schreiben. Mein Ehrgeiz und die Umstände der Klasse haben das auch nicht sehr schwer gemacht. Und so habe ich von der ersten bis zur vierten Klasse ausschließlich einser Noten auf meinem Zeugnis gehabt. Ich glaube, in den ganzen vier Jahren hatte ich auch niemals eine drei und wenn ich mal keine eins bekommen habe, war ich schon enttäuscht und habe mich kaum getraut, es meiner Mutter zu sagen. Eigentlich voll bescheuert, weil eine zwei ja nicht schlecht ist, aber da ich ja nur einsen gewöhnt war, habe ich mich da schon schlecht gefühlt.
Jedes Halbjahreszeugnis war natürlich spitze und ich habe es voller Stolz meiner ganzen Familie gezeigt. Die haben mich natürlich für jede eins belonht und es gab schöne Geschenke oder ein bisschen Geld.
Die Wende kam dann, als meine Eltern entschieden haben, dass die Grundschule zu leicht für mich ist und sie der Meinung waren, dass ich neue Herausforderungen brauche. Deshalb hat mich meine Mutter vor die Tatsache gestellt, dass ich ab der 5. Klasse auf ein Gymnasium gehen werde und da ist schon mal die Welt für mich zusammengebrochen. Weg von meinen Freunden, neue Umgebung, ein längerer Schulweg…kurzgesagt: eine Katastrophe.
Aber meine Mutter hat sich nicht mehr unstimmen lassen und ab der 5. Klasse war es dann soweit. Ich war den ersten Tag in meiner neuen Schule. Da waren alle zwar neu und aufgeregt, aber auch genauso gut oder besser wie ich. Das war eine komplett neue Erfahrung für mich und sehr gewöhnungsbedürftig. Auf einmal gingen mir die guten Noten nämlich nicht mehr von der Hand. Der Unterrichtsstoff war viel anspruchsvoller und meine Mitschüler einfach viel besser vorbereitet als ich. Dadurch, dass die Mehrzahl auf einer normalen Grundschule waren, haben die von Anfang an gemerkt, dass man viel lernen muss, um gute Noten zu schreiben. Mir sind die ja quasi zugeflogen und ich musste überhaupt nichts für die Schule machen.
Das ist mir dann auf dem Gymnasium zum Verhängnis geworden und auf einmal war ich nur noch im unteren Mittelfeld angesiedelt. Meine erste Schulnote, die ich auf dem Gymnasium bekommen habe, werde ich nie vergessen: es war eine vier in Biologie.
Ich konnte es im ersten Moment gar nicht fassen, dass ich wirklich so schlecht war in der Arbeit und mit eine der schlechtesten Noten bekommen habe. Mir standen sofort die Tränen in den Augen, weil ich von mir selbst so enttäuscht war und weil ich mir sofort Gedanken gemacht habe, wie ich es meiner Mutter erklären soll.
Also habe ich es kurz und schmerzlos gemacht. Als meine Mutter nach Hause kam, habe ich es ihr einfach gesagt, ohne lange drum rum zu reden oder mir irgendwelche Ausreden einfallen zu lassen. Das hätte sie sowieso sofort bemerkt und nicht Ernst genommen. Also habe ich ihr einfach gesagt: “Ich habe heute meine Bioarbeit zurück bekommen. Es ist eine vier”. Ich habe mich schon mal seelisch und moralisch darauf vorbereitet einen gewaltigen Anschiss zu bekommen. Aber das Gegenteil war der Fall. Sie hat mich in den Arm genommen und gesagt, dass jetzt eben andere Zeiten anbrechen und ich anfangen muss zu lernen und mir nichts mehr geschenkt wird. Da musste ich gleich wieder anfangen zu weinen, aber diesmal hauptsächlich vor Erleichterung, dass meine Mama so cool reagiert hat und Verständnis zeigte.
Nach meiner ersten vier folgten noch viele, viele andere schlechte Noten und ein komplettes einser Zeugnis habe ich in meiner gesamten Schulzeit nie wieder geschafft. Aber das war mir irgendwie auch eine Lehre: wer gute Noten will, muss eben sehr hart dafür arbeiten und man bekommt im Leben nichts geschenkt. Aber die Noten sagen nicht wirklich etwas über meine Person aus und nur weil ich mal eine schlechte Note bekommen habe, bin ich nicht gleich doof. Ich habe mich einfach nicht gut genug auf die Arbeit vorbereitet. Das nächste Mal bin ich schlauer.
Bildquelle: Mückenschwein Verlag Stralsund (CC BY 2.0)